KatFreSch
02/2011
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Santiago del Estero – Berichte der Praktikanten
Santiago
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Rottenburg |
In den letzten beiden Juli-
wochen hatten die Katholischen Freien
Schulen der Diözese Rottenburg-Stutt-
gart hohen Besuch aus den katholischen
Partnerschulen von Santiago del Estero
(Argentinien). Silvia Carreras, die Lei-
terin der katholischen Schulen in San-
tiago, und Ibette Ovejero, ihre Mitar-
beiterin, die selbst schon ein halbes Jahr
in den katholischen Schulen in Rot-
tenburg ein Praktikum absolviert hat,
waren anlässlich des Partner-Work-
shops der Weltkirchlichen Freiwilligen-
dienste im Bischöflichen Jugendamt in
Deutschland.
Der Workshop, besetzt mit Partnern
der Diözese Rottenburg-Stuttgart aus
Argentinien, Brasilien und Mexiko,
beschäftigte sich mit der Auswahl und
Begleitung von Freiwilligen in Deutsch-
land und Übersee. Auch konkrete Über-
legungen für ein „Reverse“-Programm,
also dieAufnahme lateinamerikanischer
Freiwilliger in Deutschland, wurden
angestellt. Veranstalter des weltwärts-
gefördertenWorkshops waren der Bund
der Deutschen Katholischen Jugend der
Diözese und die Hauptabteilung Welt-
kirche des Bischöflichen Ordinariats.
Die Woche vor dem Workshop stand
im Zeichen des Wiedersehens und des
Knüpfens neuer Kontakte. Silvia Car-
reras und Ibette Ovejero besuchten die
drei katholischen Schulen in Rottenburg,
St. Konrad in Ravensburg und das Stu-
dienkolleg Obermarchtal. Zudem tra-
fen sie viele Rückkehrer aus dem Santi-
ago-Freiwilligendienst und deren Eltern,
die sich im Freundeskreis „Tincunakuy“
zusammengeschlossen haben. Die Mit-
arbeiter der Hauptabteilung Weltkir-
che hatten die argentinischen Gäste zu
einem Frühstück eingeladen. Bei Dom-
kapitular Dr. Stäps und seinen Mitar-
beitern, die im Frühjahr während einer
Lateinamerikareise auch in Santiago
Station gemacht hatten, war die Wie-
dersehensfreude groß.
Neue Kontakte wurden an der Pädago-
gischen Hochschule in Weingarten und
der Theologischen Fakultät der Uni-
versität Tübingen geknüpft. Ziel dabei
ist ein Austausch auf Hochschulebene
mit den katholischen Schulen und der
katholischen Universität in Santiago del
Estero.
ste
Santiago del Estero ist anders. Als ich
vor etwa einem Jahr das erste Mal vom
Praktikumsprogramm der Schulstiftung
erfuhr, das erste Mal Mate trank und
den Erzählungen einer meiner Vorgän-
gerinnen lauschte, hatte ich ein völlig
anderes Bild vor Augen, als ich Santiago
in diesemMoment erlebe. Ja, es ist heiß
hier und meistens ziemlich trocken. Ja,
die Städte liegen ziemlich weit vonein-
ander entfernt und ja, die Landschaft
in der heißesten Provinz Argentiniens
kann mit dem Grün der Schwäbischen
Alb einfach nicht mithalten. Nichts-
destotrotz möchte ich keinen Augen-
blick hier in Santiago missen. Mein
Name ist Carmen Leimann, ich bin 19
Jahre alt und komme aus der schönen
Stadt am Blautopf, Blaubeuren. Bevor
ich meine Reise nach Argentinien antrat,
absolvierte ich am Gymnasium St. Hil-
degard Ulm mein Abitur. Momentan
befinde ich mich im Nordwesten Argen-
tiniens, um neben der Schulbank und
dem Hörsaal noch andere Realitäten
kennen zu lernen. Besonders das Kul-
turbewusstsein hier hat es mir angetan.
Die Verbundenheit der Santiagener mit
der Natur, die Gelassenheit der Men-
schen, der Stolz auf die eigenen Wur-
zeln und das argentinische Tempera-
ment im Blut drücken sich in keiner
anderen Form so gut aus wie in der Folk-
lore. Egal ob getanzt, gesungen oder
erzählt, die Geschichten und Realitäten
die in der Folklore zur Sprache kommen,
gehen unter die Haut. Leidenschaft-
lich musizieren Gitarristen, Violinisten
und Bombospieler, um gemeinsam sin-
gend ihren Instrumenten die Töne zu
entlocken, die einer „Chacarera“ oder
„Zamba“ einen unvergesslich schö-
nen, fröhlichen oder auch melancho-
lischen Flair verleihen. Überall sind sie
zu hören, im Radio, auf den Straßen,
auf jedem Fest, die Laute dringen aus
den Akademien, in denen gerade neue
Choreografien einstudiert werden und
in den so genannten „peñas“ wie zum
Beispiel „Froilán“ finden sich die Leute
zusammen, die gemeinsam tanzen wol-
len, das Ambiente genießen. Chacarera
und Zamba sind traditionelle Paartänze,
bei denen wie bei den alten Tänzen in
Europa aufeinander zu und voneinan-
der weg getanzt wird.
Neben den traditionellen Tänzen, zu
denen auch der etwas fröhlichere „Cha-
mame“, ein ungezwungener Paartanz
ähnlich dem „Jive“ zählt, sind hier auch
Kumbia, Reaggeton, Quartetto, und
Guaracha, Tango Argentino, Salsa, ein
etwas anderer Walzer und Bauchtanzen
stark im Trend. Auch amerikanische
Einflüsse machen sich in den HipHop-
Kursen bemerkbar. Entsprechend groß
ist die Bandbreite an Musik.
In meinem alltäglichen Leben steht die
Arbeit in der weiterführenden Schule
„San Roque“, sowie in den Kirchenge-
meinden „la Inmaculada“ und „Santa
Rosa de Lima“ im Vordergrund. Die
„Secundaria“ San Roque befindet sich
außerhalb der Stadt im Viertel „Zanjón“
und hat ein ziemlich großes Einzugsge-
biet. Bis zu 20km fahren hier die Schü-
ler teilweisemit demFahrrad zur Schule.
Charakteristisch für die Umgebung der
Schule ist die so genannte „tierra“, Erde
bzw. Staub, die überall dort zum Vor-
schein kommt, wo der Schulhof noch
nicht betoniert ist. Anders als Zuhause
gibt es hier nur einen Kurs pro Klas-
senstufe. Die Schüler tragen (meistens)
Schuluniformen und formieren sich
zum ersten Klingeln auf dem Schul-
hof, um gemeinsam mit der Rektorin
das Gebet an den Schulpatron Sankt
Rochus zu sprechen sowie die argen-
tinische und santiagenische Flagge zu
hissen.
Die Schule hat ein wirtschaftliches Pro-
fil. Aus diesem Grund gibt es neben
den gängigen Fächern auch „Buchhal-
tung“ und „Rechnungswesen“. Darü-
ber hinaus müssen die ältesten Schü-
ler der Kurse 4° und 5° den Kiosk sowie
den Kopierer verwalten. In Werkstätten
erlernen sie außerdem kochen, Bienen-
kästen bauen, den Aufbau eines Auto-
motors und den Umgang mit dem Com-
puter. Ich nehme an der Kochwerkstatt
teil sowie dem Sportunterricht, helfe in
der Küche, wenn das warme Mittag-
Hallo!! Ich heiße Julian Hamacher,
werde in diesem Jahr noch meinen 20.
Geburtstag feiern und habe bis Juli 2011
das Gymnasium St. Meinrad in Rot-
tenburg besucht. Im folgenden Bericht
möchte ich Ihnen meinen Alltag hier
im trockenen Nordwesten Argentiniens
ein wenig genauer beschreiben, damit
Sie einen Eindruck von meinem Frei-
willigendienst bekommen.
Jeden Morgen um 6 Uhr klingelt mein
Wecker in Santiago del Estero. Ein-
einhalb Stunden später komme ich
mit dem Bus in meiner Grundschule
„Sagrada Familia“ an. Das Fahne-His-
sen, das gemeinsame Beten sowie der
Morgenappell des Schulrektors Ramón
sind für mich alltägliche Rituale gewor-
den. Dadurch, dass ich nur wenige feste
Pflichten habe, kann ich mir meinen
Schulalltag so gestalten wie ich möchte.
Das bedeutet umgekehrt allerdings
auch, dass mir oftmals niemand sagt,
was zu tun ist. Ohne Eigeninitiative
könnte ich den ganzen Tag im Sekre-
tariat das Nationalgetränk Mate trinken.
Ich unterstütze gerne den immer gutge-
launten Hausmeister Wilson beim Klas-
senzimmer und Schulhof putzen, über-
nehme Aufgaben im Sekretariat und
kümmere mich in den Unterrichtspau-
sen um die Sorgen und Bedürfnisse der
Kinder.
Meine Hauptaufgabe jedoch besteht
darin, den Kindern im Unterricht mein
Land, meine Sprache beziehungsweise
die englische Sprache sowie meine Kul-
tur näherzubringen. So gebe ich zum
Beispiel jeweils einmal wöchentlich
Englischunterricht in der ersten und
zweiten Klasse. In den Pausen fragen
die Kinder mich oft neugelernte Sätze
wie: „How are you?“ Die meisten
Schüler(innen) sind total begeistert und
wollen immer mehr lernen, auch wenn
die Aussprache manchmal ein wenig
schwierig ist. In den restlichen vier
Klassenstufen (die Grundschule dau-
ert in Argentinien bis zur einschließ-
lich 6. Klasse) halte ich Präsentationen
über z.B. die Geografie Deutschlands
oder bekannte Tiere in meiner Heimat.
In Zukunft werde ich auch Sprachun-
terricht in den höheren Klassen anbie-
ten. Da mir das ungesunde Ess- und
Trinkverhalten der Kinder aufgefal-
len ist, beginnen Magalí, eine Natur-
wissenschaftslehrerin, und ich nächste
Woche in allen Klassen mit der Aufklä-
rung über die Nachteile vom zu vielen
Verzehr von Süßigkeiten und Softge-
tränken wie Cola. Wir haben vor, durch
Aktionen wie gemeinsames Obstsalat-
zubereiten und anschließendem Ver-
speisen ein Bewusstsein für gesünderes
Essen zu schaffen. Denn bis jetzt werde
ich komisch angeschaut, wenn ich eine
Banane oder einen Apfel anstatt Chips
und Schokoriegel esse.
Besuch aus Argentinien
Julian
Neben meiner Tätigkeit als „Hilfslehrer“
besuche ich mit großer Leidenschaft
den Kindergarten „Sagrada Familia“, der
direkt neben der Schule liegt. Zusam-
men mit Susy betreue ich die Jüngsten,
also die 3-4-Jährigen. Der schönste
Moment des Tages ist für mich, wenn
ich die Türe zu meiner Kindergarten-
gruppe aufmache, die Kinder alles ste-
hen und liegen lassen, auf mich zuge-
stürmt kommen und mich umarmen. In
den kommenden Wochen habe ich u.a.
vor, einen Tag der Sinne für die Kids zu
veranstalten. Auch eine Olympiade mit
sowohl Sport- als auch Geschicklich-
keitsspielen dürfte gut bei meinen klei-
nen Freunden ankommen.
Als kleines Zwischenfazit kann ich
sagen, dass ich sowohl von den Leh-
rern und Kindergärtnerinnen als auch
von den Kindern selber super aufge-
nommen worden bin. Sie haben mir
den Einstieg durch ihre offene und sym-
pathische Art sehr leicht gestaltet. So
lerne ich während meines Praktikums
bis jetzt vor allem: Verantwortung zu
übernehmen, Organisieren, Improvisie-
ren, Motivieren, Schlichten und beson-
ders eine andere Sichtweise auf viele
Dinge.
Die Provinz Santiago del Estero mit der
gleichnamigen Hauptstadt ist eine rela-
tiv arme Gegend. Die Angaben über
die Arbeitslosenquote variieren stark,
in Randgebieten steigt sie bis zu 70%.
Dazu kommen viele Geringverdiener,
die mehrere Arbeitsstellen gleichzeitig
annehmen müssen, um ihren Lebens-
unterhalt zu finanzieren. Beispielsweise
arbeiten manche Lehrer an bis zu 6 ver-
schiedenen Schulen.
Eines Samstagsmorgens bin ich der Ein-
ladung einer Freundin gefolgt, sie in
das Armenviertel „Catolica“ zu beglei-
ten. Maria engagiert sich in einer Orga-
nisation, welche u.a. Holzhütten für
obdachlose Menschen baut. An diesem
Tag trafen sich etwa 20 Jugendliche
und legten im besagten Viertel ehren-
amtlich Gemüsebeete für verschiedene
Familien an. Die Umgebung war über-
sät von Plastikmüll, die Straßen waren
ungeteert und bieten keinen Vergleich
mit unseren Waldwegen in Deutsch-
land. Die „Häuschen“ bestanden oft aus
Plastikfolienwänden und einem aufge-
legten Wellblechdach. Was mich beson-
ders erschreckt hat war der Kontrast. Es
gibt viele Familien, die in schönen und
luxuriösen Häusern wenige Hundert
Meter entfernt wohnen und außerhalb
der Stadt eine Finca mit Pool besitzen.
Im Vergleich sieht man dieses unschein-
bare Viertel ganz in der Nähe des Stadt-
zentrums in dem sich 6 Personen eine
Bleibe mit 20 Quadratmetern teilen. Als
kleine Anmerkung kann ich noch sagen,
dass es in Santiago viele kinderreiche
Familien gibt. Leider ist es keine Selten-
heit, dass die ärmsten Familien die mei-
sten Kinder haben.
Trotz dieser teils menschenunwürdigen
Wohnsituation schienen mir die Men-
schen in diesem Viertel glücklich und
sie begrüßten uns freundlich. Die Fami-
lien hatten selber nicht viel zum Essen,
wollten es aber trotzdem unbedingt mit
uns teilen. Nach 4 Stunden Arbeiten in
der prallen Sonne kehrten wir mit Bla-
sen an den Händen und Sonnenbrand
wieder nach Hause zurück. Für mich
war es eine Erfahrung fürs Leben. Die
kommenden Samstage werde ich wie-
der helfen, auch wenn ich nur einen
kleinen Teil zur Verbesserung der
Lebensumstände beitragen kann.
Carmen
Neue Kontakte an der PH Weingarten: Prof. Dr. Lothar Kuld (Rel.päd.), Silvia Carreras, Ibette Ovejero,
Winfried Abt (Intern. Office)
Wiedersehen am BZ St. Konrad: Schulleiter Franz Bertrand, Rückkehrerin Jasmin Sonntag, Silvia, Ibette,
Neu-Praktikantin Theresa Schockenhoff, Rückkehrer Marc Frick. Oben: Begegnungen imWorkshop in Wernau