kathfresch - Ausgabe 2014 - page 12-13

„Wennman
mit einem
Menscheneine
Stunde spielt,
lerntman ihn
besser kennen,
alswennman
sichein Jahrmit
ihmunterhält.“
(Platon)
Deshalbhat jede
Zeit bei uns ihre
besondere
Qualität.
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ganztagsschule „eigen-sinnig“gestalten!
HerrHaupt,warenSievonAnfanganBefürworter derGanz-
tagskonzeption?
Nein! Als wir uns mit dem Thema „weiterführende Schule“
beschäftigten, war ich der Überzeugung, dass die von öko-
nomischen Gesichtspunkten getriebene Schulpolitik (z.B. G8)
enormenDruckauf Schüler ausübt und siedabei ihrer Kindheit
beraubt werden. Meine Meinung war, Kinder brauchen zum
Ausgleich ihr Zuhause als „Frei- undRückzugsraum“. Dass das
in einer Ganztagsschule funktioniert, sah ich eher skeptisch.
Der Familienrat hatte sich jedoch anders entschieden. Diese
anfängliche Skepsis ist dann einer großenBegeisterung gewi-
chen. Seit drei Jahren bin ich aus Überzeugung in der Aufgabe
des Elternbeiratsvorsitzenden und als Mitarbeiter im Ganz-
tagsbereichehrenamtlich für unsereSchule tätig. Hierbei, aber
auch als Vater, erlebe ich eine klasse Entwicklung der Schüler
sowieder Schule. Heutebin ichGott froh, dass sichder Famili-
enrat damals durchgesetzt hat.
Wasmacht für SieeingutesGanztagsschulangebot aus?
EingutesGanztagskonzept zeigt sichdarin, dassesdenganzen
Menschen zu erkennen und mitzunehmen vermag. Ein Kon-
zept, dasüberalleBereichehinweg ineinandergreiftund jeden
Schüler sowie er ist, ohne ihn zu überfordern, auf bestimmte
Entwicklungsziele hin begleitet.
Eine Schule, die den Kindern
die notwendigen Freiräume schafft, sie dennoch nicht gänz-
lich sich selbst überlässt, nichts überstülpt und letztlich ein
Gefühl der Geborgenheit vermitteln kann.
Alles in allem sind
dies großeAnsprüche, die für Schulleitungen, Lehrer undMit-
arbeiter mit besonderen Herausforderungen verbunden sind.
Dessen solltenwir uns immer bewusst bleiben, sowieauchder
Tatsache, dassDankbarkeit,WertschätzungundAnerkennung
dieMotivation undGesundheit der Schulakteure nähren. Dem
schließt sich an, dasswir Eltern uns der Erziehungsverantwor-
tunggerade aneiner Ganztagsschule stets bewusst bleiben.
Sollten IhrerMeinungnachdieElternanGanztagsschulen
beteiligtwerden?
Wenn wir unsere Schüler in der Mitte von Schule und Eltern-
haus sehen und den Begriff der Erziehungspartnerschaft mit
Lebenerfüllenwollen, dann liegt es inderNatur der Sache, ex-
plizit an Ganztagschulen, Eltern zu beteiligen. Kinder orientie-
ren sich an Eltern und Schule gleichermaßen, umsowichtiger
erscheint es, dass alle Erziehungsverantwortlichen sich „ab-
stimmen“ (z.B. auf der Basis gemeinsamer Ziele, Werte und
Regeln), umOrientierung geben zu können. Um diese fördern
zu können, sind Strukturenbzw. „Räume“ desAustauschs und
Möglichkeiten zur Beteiligung notwendig. Originär können
dazu Elternabende, Elterngespräche, Schulkonferenzen und
Elternbeiratssitzungen dienen. Am St. Jakobus-Gymnasium
haben wir darüber hinaus mit weiteren Formen, wie dem
Schulentwicklungspodium, Elternforum und dem Bereich des
Elternengagements sehr gute Erfahrungen gemacht.
Basie-
rend auf dem Dreiklang:
Wir Eltern für Eltern, Schüler und
Schule“, bereichern Eltern mit ihrer Lebenserfahrung und
persönlichenKompetenz den Lebensraum Schule und stiften
damit einen„wertvollen“Zusatznutzen für alleBeteiligten.
IstGanztagsschule inerster Linie sinnvoll,weil oftmalsbeide
Elternteileberufstätig sind, oder bietet diesesKonzept Ihrer
MeinungnachauchChancen für dieKinder?
Eine Ganztagsschule unseres Profils, die sich nicht als reinen
Lern- undAufbewahrungsort versteht, ist für alle – für Schule,
Eltern und Gesellschaft – gleichermaßen eine große Chance.
Für das Wohl der Kinder bleibt die Familie immer existenziell
bedeutsam. Das muss aber kein Widerspruch zur Ganztags-
schuledarstellen. Vielmehr erlebenwir, trotz eines geringeren
Zeitkontingentes, unser Familienleben erfüllter und entspann-
ter. Wir stellen dabei fest, dass Abstand auch eine besondere
Nähe schaffenkann. DiegrößtenChancenergeben sich jedoch
für unsere Kinder.
Unter der Überschrift: „Gemeinsam, mitei-
nander Leben lernen“ ließe sichdas Credoder Chancendefi-
nieren.
KönnenSiedaskonkretisieren?
Die Klasse entwickelt sich im Rahmen des Ganztags zu einem
Freundes-, Lebens- und Lernkreis. Das begünstigt Motivation,
Ausprägung sozialer Kompetenzen und ein Zugehörigkeitsge-
fühl, das neben Geborgenheit auch Anerkennung vermittelt.
Neben dem gemeinsamenMittagessen kommt demMittags-
freizeitbereich eine besondere Rolle zu. Dort können die Kin-
der und Jugendlichen die unterschiedlichsten Angebote frei
nutzen, erleben sich und Mitschüler in der Interaktion, toben
miteinander, genießen Stille, entdecken und erleben sich mit
ihren Talenten, schöpfen neue Kraft für den restlichen Unter-
richtstag. Hier dürfen Kinder noch Kinder sein und lernen das
Leben quasi spielend. All das gibt unseren Schülern Sicherheit
undverlässlicheOrientierungspunkte imAlltag.
Diegegenüber
„Regelschulen“ zusätzlichenAngebote und Chancen, die un-
sere Schulebietet undermöglicht, könntenwir von zuHause
in diesem Umfang und dieser Vielfalt weder inhaltlich noch
zeitlich stellen.
Die Franz-von-Sales Jungenrealschule ist ebenfalls eine noch
recht junge Schule. Im Schuljahr 2010/2011 wurden die ersten
Fünftklässer aufgenommen. SiewirdamStandort Ehingenein-
zügig als Ganztagsschule geführt und bietet damit eine opti-
male Ergänzung zur Franz-von-Sales-Mädchenrealschule in
Obermarchtal, zuder Sieorganisatorischgehört.
„Jungenhabenmehr InteresseamSport,weniger am
aktivenMusizieren. SiehabenStärken inderMathematik,
dafür Schwächen im sprachlichenBereich, in Interaktionund
Kommunikation.“WürdenSiedieseÄußerungenalsKlischee
beschreibenoder dienenSiealsBegründung für einebeson-
derePädagogik für Jungen?
Diese Frage lässt sich nicht kurz beantworten. Wennman sich
mit dem Thema „Jungen“ beschäftigt, stellt man sehr schnell
fest, dass es „die“ Jungen nicht gibt. Vielmehr ist von der Ein-
zigartigkeit jedes Jungenauszugehen.Vieleunserer Jungenha-
benganz sicher bestimmteVorlieben. DazugehörenSport und
Technik, inMathematik haben viele ein Faible für Zahlen und
ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen im Bereich Geo-
metrie. Aber es gibt auch Jungen, die hervorragende Künstler
sind, tolle eigene Texte verfassen oder ein Musikinstrument
spielen. Beim Vorlesewettbewerb des letzten Jahres belegten
zwei unserer Jungen die ersten beiden Plätze. Es handelt sich
somit aus unserer Sicht oft umKlischees.
Wozubraucht esdanneine reine Jungenschule?
Untersuchungen haben ergeben, dass Mädchen bei der Ein-
schulung im sprachlichen Bereich ihren gleichaltrigen männ-
lichen Klassenkameraden bis zu 1,5 Jahren voraus sind. Ein
Vorteil im sprachlichenBereichhat natürlichAuswirkungenauf
Kommunikation und Interaktion. Dieses Defizit holen die Jun-
generst etwamit dem 16. Lebensjahr auf. Nimmtmannundie
Unterschiedlichkeit in diesen Bereichenwahr und ernst, dann
ergibt sich zwangsläufigdieNotwendigkeit, denKindern in ih-
rem jeweiligen Entwicklungsstandentgegenzukommen. Reine
Jungenklassen vereinfachen für uns bestimmte Vorgehens-
weisen.
Jungen zeigen unter sich häufiger Gefühle. Sie kön-
nen länger kindlich bleiben – eswerden z.B. bis zur Klasse 7
Legosmit indieSchulegebracht.Ältere Jungensindsichnicht
zu schade, mit deutlich jüngeren Schulkameraden in den
Pausen zu spielen. Jungen sind im Umgang mit Mitschülern
und Lehrern offener, denn siemüssen sich nicht ständig neu
beweisen. Sie dürfen und können in ihrer eigenen Entwick-
lungsgeschwindigkeit aufwachsen.
Wasmacht einegute Jungenschule IhrerMeinungnachaus?
In einer guten Schule sollten alleMitarbeiter nicht nur die so-
ziologische und psychologische Seite der Jungen in den Blick
nehmen, sondern auch den oftmals vernachlässigten Teil des
sich ändernden Zusammenspiels der Hormone. Zudem ist die
Beziehungsarbeit imGanztagwichtig. Siebildet dieGrundlage
für eine gute und vertrauensvolle Arbeits- sowie Lernatmo-
sphäre. Unsere Jungen haben einen Namen, sie brauchen alle
eine Aufgabe – eineMission – und sie haben in unserer Schu-
le eine Heimat. Deshalb sind die Identifikation und das Ver-
antwortungsgefühl bei vielen unserer Jungen recht hoch.
Auf
Jungen abgestimmte Lerninhalte, ansprechende Lernmetho-
den, ein angemessenes Lern- und Arbeitstempo, für Jungen
wichtigeRitualeundeinewertorientierte Erziehunggehören
als Eckpunkte zu einer gelingenden Jungenarbeit.
Mit dem
Marchtaler Plan ergeben sich hierfür sehr gute Grundvoraus-
setzungen, um insbesondere Jungengerechter zuwerden.
Wie schlägt sichdies in IhremAngebot insbesondere im
Ganztagnieder?
Unser Ganztag ist von Montag bis Donnerstag im gleichen
Rhythmusstrukturiert.AndieFreieStillarbeit schließt sicheine
Unterrichtsstunde an. Danach gibt es eine 30-Minuten-Pause,
bei der dieMöglichkeit zur ausgiebigen Bewegung und Sport
gegeben ist. Nach zwei weiterenUnterrichtsstunden folgt un-
sere täglich wiederkehrende Lernzeit. Um 12.00 Uhr gibt es
Mittagessen im Speisesaal, danach schließt sich die Mittags-
freizeit an. Am Nachmittag finden weitere drei Unterrichts-
stunden statt. Da wir eine einzügige Schule sind, kann es bei
uns keine AG-Stunden geben. Deshalb haben wir klassenbe-
zogen einen sogenannten Themennachmittag. Der Themen-
nachmittag eignet sich auch für Exkursionen und entdecken-
des Lernen. Er ist zudem für die Jungen ein guter Ort, an dem
ermöglicht wird, dass sie ihre physischen Grenzen erfahren
und geschlechtsspezifische Übungen zur Eigen-, Körper- und
Fremdwahrnehmungdurchführen können.
Kommt der rhythmisierteGanztagsunterricht IhrerMeinung
nachdenBedürfnissender Jungenentgegen?Wiewirkt sich
dieskonkret imAlltagaus?
ImGanztagsbetrieb ist eine sinnvolle Gestaltung der gegebe-
nen Zeit, die wir im Lebensraum Schule verbringen, zentral.
Der Wechsel von Spannung und Entspannung verschiedens-
ter Zeiten imTagesablaufwirkt sichpositivaufdasSozialver-
haltender Jungenaus.
IhrenBewegungsdrang können Jungen
auf demweitläufigen Gelände in der langen bewegten Pause
und inderMittagsfreizeit ausleben.Die Jungenkommenhäufig
ausgeglichenundentspannt indenUnterricht.
JürgenWicker
Schulleiter
Bärbel Schäfer-Blum
Leiterin
Ganztagsbereich
GerdHaupt
Elternbeirats-
vorsitzender
St. Jakobus-
Gymnasium
Abtsgmünd
Kathfresch
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2014
INTERVIEW
Franz-von-Sales-Jungenrealschule Ehingen
Eine Stimmeaus der Elternschaft
1,2-3,4-5,6-7,8-9,10-11 14-15,16-17,18-19,20-21,22-23,24-25,26-27,28-29,30-31,...32
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